Back to the Sache

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links Klimademonstranten in Australien, rechts Coronamaßnahmenkritiker in Leipzig, beide Gesprächsbereitschaft einfordernd zur Überwindung des Alltagsbewusstseins

Am 30.08.2025 fand im Gemeindesaal der Christengemeinschaft Dresden eine Veranstaltung unter dem Titel "Angst in Politik und Gesellschaft: Ursachen, Wirkungen und Abhilfen" mit Prof. Thomas Kliche statt, die in bewährter Weise von der Friedensinitiative Dresden und den „1001 Veranstaltungen“ organisisiert wurde.

Prof. Thomas Kliche
Prof. Thomas Kliche

Die Veranstaltung war mit ca. 50 Interessierten gut besucht, der Gemeindesaal etwa zu 2 Drittel gefüllt.

Der Einstieg ins Thema gelang Prof. Kliche mit der Problematik von Ängsten und Stimmungslagen, die aus Geschäftssinn, z.B. von Versicherungen oder Zeitungen, in die Welt gelangen, denen oft genug jedoch keine stabile Basis zugrunde liegt und die auch einfach auf methodischen Fehlern beruhen können. Als Beispiel nannte er die sensationsheischende Zeitungsmeldung, dass die Sachsen-Anhaltiner die ängstlichsten Bundesbürger seien. Andererseits ist natürlich nicht jede Zeitungsmeldung ohne Grundlage, in der Bevölkerung artikulierte und von der Presse aufgegriffen Ängste können durchaus mit harten Daten korrelieren. Bspw. nimmt die Angst vor Arbeitslosigkeit bei real steigender Arbeitslosigkeitsrate zu.

Der zweite und längste Teil des Vortrags beschäftigte sich mit dem sogenannten Alltagsbewusstsein. Es ist auf der einen Seite eine Verfasstheit, die es einem ermöglicht, die alltäglichen Dinge routiniert und stressfrei zu bewältigen, auf der anderen Seite kann ein permanentes Verhaften in dieser Bewusstseinsform dazu führen, nicht mehr über den Tellerrand zu schauen und Dingen auf den Grund zu gehen, die letztlich durchaus sehr große Relevanz haben können. Diese Äußerungsformen des Alltagsbewusstseins(AB) und seine Mechanismen sind universell und unabhängig von den konkreten Sachverhalten, die jeweils Stein des Anstoßes sein können. Die folgende Tabelle, möge das veranschaulichen.

Technik des AB Frage Klimawandel + Reaktion AB Frage Pandemiemaßnahmen + Reaktion AB
Verharmlosung "Klasse, da können wir länger baden." "Die Impfung ist doch nebenwirkungsfrei."
Retter-Figuren "Elon Musk wird da schon was zaubern." "Wenn du die Aussagen von Dr.Drosten bezweifelst, brauchen wir nicht weiterreden."
Technik- Wissenschaftsgläubigkeit "Die Lösung sind Flüssigsalzreaktoren." "mRNA ist ein so elegantes Verfahren und der neueste Stand der Wissenschaft."
Argument der Mehrheit "Die allermeisten sehen hier gar kein Problem mit dem Individualverkehr. Das Problem sind wohl eher die paar Klimakleber." "Ein paar Spinner gibt es immer. 99,9% der Wissenschaftler sind sich einig."
Fatalismus "Irgendwann sterben wir sowieso." "Im Haushalt kannst du dir auch das Genick brechen."
Zuschreibung negativer pers. Motive "Dir geht es doch nur darum, mal in die Nachrichten zu kommen." "Euch geht es doch nur um eure Freiheit, ihr Egoisten."

Ich habe bewusst die Themenkomplexe Klimawandel und Pandemiemaßnahmen gewählt, um zu zeigen, dass die Funktionsweise des Alltagsbewusstseins sich nicht unterscheidet, auch wenn sich die Gruppen der Klimawandel-Kritiker und Pandemiemaßnahmen-Kritiker wohl nicht allzu sehr überlappen.

Ziel und Vorgehen des Alltagsbewusstseins ist immer des gleiche: Der Schutz der Alltagsroutine über eine Dialogverweigerung durch die Methode einer bewusst schlagwortartigen Abfertigung des Gegenüber, z.B. mittels der oben genannten Techniken.

Das heißt nicht, dass die schlagwortartigen Antworten nicht im zum Teil richtig sein können, nur ist die Antwort eben gar nicht darauf aus, in einen Dialog mit dem Gegenüber zu treten.  

Das Verhalten des Alltagsbewusstseins hat auch nichts damit zu tun, ob die angesprochene Sachfrage tatsächlich von Relevanz ist. Wichtig ist dagegen, ob das Alltagsbewusstsein sich in seinem Trott bedroht fühlt. Es wird eher instinktiv geprüft, ob man sich durch Einlassen auf die Frage auf ein Terrain begeben würde, welches ausufern und das Gewohnte in Frage stellen könnte.

Nach der Darlegung der weitesgehenden Dominanz des Alltagsbewusstseins wies Prof. Kliche darauf hin, dass Politik vor diesem Hintergrund oft viel mehr ein Bewirtschaften von Alltagsbewusstsein, Gefühlswelten und Ängsten darstellt, als ein lösungsbezogenes Abarbeiten von Sachfragen.  

Der dritte Teil des Vortrags beschäftigte sich mit der Frage, wie man das Alltagsbewusstsein überwinden kann, um eine Beschäftigung mit der eigentlichen Sachthematik zu erreichen. Die folgenden Lösungsansätze wurden genannt:

  • Bildung als langsam wirkender aber sehr wirksamer Faktor
  • zivilgesellschaftliches Engangement
  • Vernetzung Gleichgesinnter bis hin auf europäische Ebene
  • Gründung neuer Partei(en)

Es folgte die Diskussionsrunde, die lebhaft verlief.

Zwar hatte Prof. Kliche einerseits zur Illustration des Themas bewusst die vielleicht vermeintlich unverfänglichen Beispiel-Ängste Klimakatastrophe und Atomkrieg gewählt, positionierte sich jedoch persönlich gerade hinsichtlich des Themas Klimakatastrophe eindeutig und Seitenhiebe gegen die AfD trugen vermutlich auch etwas zu späteren Ab- und Umwegen in der Diskussion bei.

Dem Publikum lagen jedenfalls Ängste hinsichtlich politischer Lethargie, Migration und Meinungsfreiheit nicht weniger am Herzen und es sprach diese Themen offen an.  

Rainer Petrovsky wies klar darauf hin, wie schwer es geworden ist, überhaupt noch Veranstaltungsorte zu finden, die solch offenen Gesprächsrunden möglich machen. Letztlich drückte sich auch darin eine schwelende Angst aus, nicht mehr sagen zu können was ist, Menschen nicht mehr zum Austausch zusammen bringen zu können.

Rainer Petrovsky
Rainer Petrovsky

Die Veranstaltung ging von den zeitlichen Rahmenbedingungen her zu Ende als die Diskussion hätte spannend werden können. Einigkeit bestand sicher zwischen Publikum und Referenten darüber, dass es notwendig ist unter bestimmten Umständen das Alltagsbewusstsein zu durchbrechen. Dass es dann um die Sache gehen muss.
Und aus der inneren Logik heraus, dass Alltagsbewusstsein Dialog immer wegbügelt, ergibt sich schon die Notwendigkeit Gesprächsräume für Dialoge zu bejahen, Diskussionen nicht zu verhindern, sondern sie zu ermöglich und sich ihnen zu stellen.  

Freilich blieben viele Fragen gar nicht angesprochen, bspw.:

  • Wie findet man ein gemeinsames Verständnis, welche Sachfragen wirklich für alle wichtig sind? Was leitet eine Priorisierung?
  • Wie umgehen mit der Frage, dass bestimmte Fragen für bestimmte gesellschaftliche Gruppen ohne Relevanz sind und demzufolge Ängste unauflöslich bestehen bleiben?
  • Was tun, wenn die Politik geradezu einen Nischengesellschaft fördert und offene Gesprächsräume unterbindet oder sich anmaßt bestimmte Gespräcshräume zu fördern andere zu bekämpen? Ist so etwas überhaupt Aufgabe von Politik?
  • Welche Strategien braucht es, Lösungen flexibel im Sinne unserer evolutionären Natur auszutesten, gerade vor dem Hintergrund von Unwägbarkeiten? Sind hier bspw. zentralisierte Strukturen überhaupt sinnvoll?
  • Welche Techniken des Alltagsbewusstseins sind nützlicher  als andere, sind manche vielleicht ohnehin sehr kritisch zu betrachten?
  • Wie ändert sich das Alltagsbewusstsein selbst in Abhängigkeit von der Gesellschaftsform?

Man kann der Friedensinitiative Dresden und den „1001 Veranstaltungen“ nur eine erfolgreiche Fortsetzung der Reihe wünschen.

Wer miteinander redet, springt sich nicht an die Gurgel. Zudem sind Diskussionen in denen die Beteiligten Differenzen artikulieren und austragen fruchbarer als das Schwimmen in der eigenen Soße und für die Gesellschaft heilsamer als das Verharren in den eigenen Echokammern. In diesem Sinne spräche nichts gegen eine erneute Einladung von Prof. Kliche.